Marketing vs. Digitalisierung – wie Organisationsformen unser Marketing beeinflussen

Es ist schon bezeichnend, wie das klassische Marketing auf seine gelernten Prinzipien und Werte pocht und dabei längst vom Nutzer abgehängt wird. Und es ist für mich komplett egal, ob wir von Online, Offline, Marken-Branding oder sonst einer der verschiedenen Formen des Marketings sprechen.

Die Online Medien recyclen zum Beispiel massiv original Content von freien und unbezahlten Nutzern des Internets auf ihren Seiten. Auf diesen Seiten werden Anzeigen für Reichweite geschaltet und wir erleben, dass Verlage versuchen dem Kunden zu erklären, warum er seinen AdBlocker wieder deaktivieren soll. Die Begründung: „Guter Journalismus will bezahlt werden.“ Ok, die Erklärung kaufe ich, wird dann der Produzent eines eingebundenen YouTube Videos auch aus den Anzeigen des Verlages bezahlt? Sicher nicht und jeder Nutzer im Netz weiss das. Und nur weil ein Journalist ein solches Video durch seinen eigenen Social Media Channel gefunden hat, ein paar Zeilen dazu schreibt, wird daraus sicher kein wertvoller Content.

Aber wie kann die Zukunft des Marketings aussehen und welche Organisationsformen brauchen wir dafür?

Digitalisierung gibt dem Nutzer die Kontrolle zurück

Wertvollen, selber recherchierten und produzierten Content bezahlen gar kein Problem. Genau deswegen habe ich diverse Magazine und Journale im Online Abo, aber dieser ist extrem selten geworden. Gleichzeitig verbreiten sich durch Anzeigen verteilte JavaScript Lösungen zur fremden Nutzung von Rechnern mit dem „Browser basierten Mining von Bitcoins“. Als bewusster Nutzer, der auch nur einen Cent für seine Privatsphäre übrig hat, ist es schlicht und einfach – wieso sollte ich das machen?

Die Konsequenz ist genauso einfach, der Nutzer wird weiterhin aktiv Wege suchen die Informationen zu konsumieren ohne seine eigenen Bedürfnisse, wie z.B. eine hohe Sicherheit der Privatsphäre, einzuschränken. Genau deswegen ist der Newsfeed von Facebook oder Google so beliebt. Unser Marketing, das Jahrzehnte lang glaube entscheiden zu können wie wir Menschen uns verhalten sollen, schlägt fehl und versagt. Oder ist die es die Kette der Anforderungen, Projekte und Realisierung die nicht schlank und flexibel genug ist? Vielleicht brauchen wir auch ein neues Wertesystem im Marketing, welches uns als Nutzer in den Mittelpunkt rückt und akzeptiert, dass Marken und Produkte schlicht nicht gebraucht werden, wenn diese nicht mit einem kleinen und unterstützenden Marketingbudget bereits vom Kunden genutzt werden? Einige dieser Fragen beschäftigen mich schon lange und ich möchte meine Gedanken dazu in diesem Blog beschreiben.

Und warum? Nun die Digitalisierung bringt uns Nutzern viel mehr Möglichkeiten. Wir brauchen die Webseite des Anbieters, Verlages oder Shops einfach nicht mehr. Wir haben die Information bereits in unserem Newsstream bei FB oder im Messenger. Genau dort wo wir heute bereits bezahlen und uns unserer Lieblingsbeschäftigung hingeben, der Kommunikation mit Menschen. Den meisten reicht die Zusammenfassung für eine Bewertung der individuell wahrgenommenen Wichtigkeit für das Thema. Und wenn ein Katzenbild dabei ist, dann immer gerne.
Noch viel wichtiger, die klassischen Marketing Techniken lassen sich heute nicht mehr so einfach verstecken. Wenn die neuen Möglichkeiten des personalisierten Marketing genutzt werden wollen, dann ist Personalisierung einfach erforderlich. Ohne Cookies, JavaScript oder irgend ein Identitätsmanagement geht das einfach nicht. Und genau daran stören sich die Nutzer und die Konflikte entstehen.
Die Nutzer lieben das Internet mit seinen unzähligen anonymen Möglichkeiten. Zumindest glauben die meisten aller Nutzer, dass sie irgendwie anonym sind. Und wenn sie eben aus genau den Medien heraus lesen, dass diese durch Anzeigen diese Anonymität aufheben, dann reagieren die Nutzer und installieren AdBlocker – aus Ihrem Schutzbedürfniss heraus.

Scheitern wir an der Technologie?

Da hilft es nichts zu sagen, dass im Marketing diese Dinge aber gebraucht werden, um Abrechnungen oder Zählungen usw. zu ermöglichen. Es hilft auch nichts zu sagen, dass Anzeigen bereits in der Vergangenheit Journalistische Inhalte überhaupt für den Endkunden bezahlbar gemacht haben. Alles richtig und ok – aber es befriedigt einfach kein Bedürfnis des Endkunden.
Das Marketing braucht hierzu Zählpixel und Cookies nicht für den Nutzer einer Werbenachricht, sondern ausschließlich für seinen kommerziellen Prozesse der Abrechnung. Sprich über diese Techniken werden Reichweiten, Clicks und weiteres gemessen um eine Abrechnung zu ermöglichen. Einen Nutzen für den Endverbraucher schaffen diese nicht. Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn dieser sich für diese nicht interessiert.
Erst seid der Einführung des programatic Marketings im Onlinebereich und dem daraus entstehenden sehr individuellen Ausliefern von Werbung entsteht für den Endverbraucher durch seine Identifizierung ein vermeidlicher Mehrwert – Werbung die zu dem Nutzer passt. Ok, und was ist der Nutzen für den Endverbraucher? Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass er ein Produkt kauft – Nutzen für Kunde?

Marketing zur Beeinflussung scheitert an den Formaten

Die Diskussion rund um die Marketingformate ist auch nicht neu. Spätestens seid dem die Smartphones für die Werbung relevant wurden denkt jeder darüber nach, dass auf diesem kleinen Display doch nicht einfach eine Vollseiten Display-Werbung ausgeliefert werden kann. Oder warum nicht? Na vielleicht weil der Kunde die Seite dann ganz einfach schließt und mein doch so toller Inhalt schlicht und ergreifend nicht gelesen wird?

Was bringen uns heute in der Diskussion Ad Impressions vs. Page Impressions oder Page Views? Letztlich ist es immer noch so wie in den anfänglichen Zeiten der TV Werbung. Wir denken im Marketing nur an Reichweite und wie viele Menschen wir mit der Werbung erreichen. Ich bin der klaren Ansicht, dass wir genau mit dieser Haltung scheitern und nicht verstehen, dass wir in Zeiten der Digitalisierung das Marketing neu denken müssen. Unsere selbst auferlegte Einschränkung von Formaten, Messmethoden und akzeptierten Techniken sollte sich ändern. Nur wenn wir Kundenzentrierung auch im Marketing akzeptieren, dann werden wir verstehen welche Veränderungen in unserer Organisation und im eigenen Denken erforderlich sind, um die Digitalisierung wirklich anzunehmen.

Scheitern unsere Marketing getriebenen Unternehmen?

Der Zielkonflikt zwischen dem Unternehmen und dem Kunden – zwei Richtungen dank unterschiedlicher Bedürfnisse.

Eine zentrale Beobachtung von mir als Executive-Manager oder Organisations-Coach ist der Fokus der Organisation auf ihre strategische Themen. Dies ist ja grundsätzlich sinnvoll und hilft den Mitarbeitern operative Entscheidungen eingeständig und eigenverantwortlich zu treffen. Dabei stellt praktisch jedes Unternehmen, welches von Kundenzentrierung und User-Experience spricht, die Umsätze und Erträge mit diesen Kunden in den Vordergrund.
Alle strategischen Unterlagen definieren als Unternehmensziel die Steigerung von Umsatz und Ertrag vor einer Kundenzufriedenheit oder einem Kundenfeedback. Was ist denn jetzt die Priorität? Den Umsatz des Unternehmens zu steigern oder den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen?

Die Begründung für die klassische Priorisierung ist meist: „Wenn wir keine klaren Zielvorgaben für Umsatz und Ertrag geben, dann erreichen die Mitarbeiter die Ziele nicht.“ Oder: „Nur mit Kundenzentrierung werden wir keine Umsätze erzielen.“ Nun aus Sicht eines klassischen Management ist dies sicher richtig. Auch und insbesondere aus der Sicht von Marketingleitern, denn diese haben ja den Anspruch, dass sie den Kunden im Blick haben und für diesen Arbeiten.
Das Ergebnis ist, dann die Beauftragung einer Marketing-Kampagne für ein Produkt an eine Agentur in der Form von : „Wir benötigen Traffik, Werbeplätze und Reichweite in Höhe des folgenden Budgets.“ Die Kontrolle erfolgt über KPIs wie Kosten pro Click, Marketingkosten im Verhältnis mit den Erträge aus der Kampagne usw. Das Ergebnis: Wir müssen sehr aufwendige Techniken implementieren, die uns diese Messungen ermöglichen und Sicherheit über ein richtiges Investment geben.
Gleichzeitig läuft die Agentur los und wird versuchen das gesamte Marketing-Budget auszugeben. Warum? Nun die Agentur wird von der Provision bezahlt, die sie für die Platzierung der Werbung erhält. Je mehr Platzierungen erfolgen, jehöher der Ertrag. Die Agentur hat kein Interesse daran mit dem Budget des Kunden sehr sorgsam oder sogar sparsam umzugehen. Der Auftraggeber kontrolliert also ständig die Agentur und ist mit den Ergebnissen meist unzufrieden.
Und der Endverbraucher? Nun dieser wundert sich darüber, dass er ständig die Werbung eines Unternehmens/Produktes sieht auch wenn diese ihn überhaupt nicht interessiert.

Im Unternehmen geht es noch weiter. Die Marketingabteilung beauftragt die Portalentwicklung, Web-Teams und andere alles mögliche umzusetzen. Meist gelingt das nicht in der Geschwindigkeit, wie es möglich ist Marketing Kampagnen zu platzieren. Es wird aber auch kein Marketing Geld für diese Projekte genutzt, sondern immer weiteres Budget. Die Kosten explodieren und der Nutzen steigt nur langsam. Im ungünstigsten Falle passt die Umsetzung am Ende nicht zur Kampagne und der Nutzen bzw. das Investment verpufft ohne Effekt.

Wie können wir anders Denken?

Vor einigen Jahren hat mir ein Artikel im Harvard Business Manager zum Thema Marketing einen Impuls gegeben diese Themen neu zu überdenken. Dieser Artikel beschreibt wie Sungevity den Prozess des Verkaufs von Solaranalgen an die Bedürfnisse des Kunden angepasst hat. Nicht Umsatz und Ertrag stehen im Mittelpunkt des Unternehmens, sondern der Kunde und seine Customer Journey eine Solaranlage zu erwerben und zu betreiben.
Damit dies gelingt wurde die neue Funktion eines Chief Customer Journey Officers (CCJO) etabliert. Unter diesen wurden agile Produktteams aus den unterschiedlichen Spezialbereichen gruppiert. Bei Sungevity arbeiten nun Marketingspezialisten, Service-Center Mitarbeiter und Entwickler gemeinsam daran z.B. die Inspiriationsphase des Kunden so aufregend, spannend und positiv wie möglich zu gestallten. Das Ergebnis, die Diskussion wie die richtige Marketing-Kampagne aussieht erfolgt in einem cross-funktionalen und integrierten Team. Damit passt die Landingpage perfekt zur Anzeige, das Service-Center hat genau die Tools um den Kunden optimal zu beraten und das Ergebnis ist ein höherer Ertrag durch kostenlose Weiterempfehlung der Kunden. So ein Team kann, je nach Bedarf, sogar die Aufgaben einer klassischen Agentur übernehmen und damit den Mittelsmann für die Buchung von Werbung entweder optimal steuern oder sogar ersetzen.

Ja ich bin überzeugt, wenn wir mutig sind die Organisationen an die neuen Bedürfnisse unserer Kunden anzupassen, dann können wir anders denken. Dann werden wir sicher neue Herausforderungen haben und gleichzeitig sehe ich einige sehr interessante Lösungen für die offenen Fragen vom Anfang des Blogs. Es liegt an den C-Level Managern in den Konzernen Kundenzentrierung nicht nur über einen NPS messen zu wollen, sondern tatsächlich den Mut zu haben Umsatz und Ertrag als zentrale KPIs hinter diese Kundenzufriedenheit mit dem Unternehmen hinten anzustellen. Ob eine KPI letztlich hier hilft einen Konzern zu steuern ist sicher eine neue Frage, aber Kundenfeedback und Kundenzufriedenheit können ganz sicher zu mehr Umsatz und Ertrag führen. Und letztlich können Sie uns dabei helfen neue Wege im Marketing zu beschreiten, auch wenn dabei die Vorreiterrolle oder die Kontrolle in den Unternehmensstrukturen nicht mehr von dieser Abteilung ausgeht.

(A selfie inside one of Yayoi Kusama's "Infinity" rooms. Photo by (Waiting for) Godot, via Flickr)

(A selfie inside one of Yayoi Kusama's "Infinity" rooms. Photo by (Waiting for) Godot, via Flickr)